© Jörg Janköster

Trauerspiel

Sat, 19 Nov 2022 09:12:49 +0000 von Jörg Janköster

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Wort zum Sonntag (Anzeiger für Harlingerland, 19.11.):

Normalerweise beschäftigt sich das Wort zum Sonntag mit dem kommenden Sonntag. Ich will heute einmal mit dieser Regel brechen und den vergangenen Sonntag zum Thema machen. Am letzten Sonntag, dem Volkstrauertag, standen das Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt und die Mahnung zum Frieden im Mittelpunkt. Überall im Harlingerland fanden Gedenkveranstaltungen an den Ehrenmälern statt. Die Anliegen des Volkstrauertages sind angesichts des Krieges in der Ukraine, der mittlerweile schon fast neun Monate andauert, leider so aktuell wie schon lange nicht mehr. In vielen Ansprachen und Gebeten standen nicht zuletzt die Opfer dieses blutigen Konflikts im Mittelpunkt. Trotzdem waren die Gedenkveranstaltungen erschreckend schlecht besucht. Selbstverständlich kann ich nur für Friedeburg sprechen. Aber auch aus anderen Ortschaften habe ich von einer „nur geringen“ Beteiligung gehört.

Man könnte argumentieren, dass der Erste und Zweite Weltkrieg mittlerweile lange zurückliegen und dass die Solidarität mit den Opfern von Krieg und Gewalt in der Gegenwart andere Formen gefunden hat. Trotzdem finde ich es schade, dass ein über Jahrzehnte geprägter Tag, der das Gedenken und Erinnern in den Mittelpunkt stellt, mittlerweile so wenig Rückhalt in unserer Gesellschaft hat. Mehr noch: Ich finde es erschreckend, dass ein anderer Tag im Herbst, Halloween, der über Jahrzehnte eigentlich überhaupt keine Rolle gespielt hat, mittlerweile einen regelrechten Hype erfährt. Provokant gefragt: Was wirft das für ein Licht auf unsere Gesellschaft, in der das Fest des Gruselns und Grauens derart Anklang findet, das Gedenken an die reellen Schrecken der Vergangenheit und Gegenwart aber niemanden mehr vom Hocker reißt? Ist es wirklich eine Auszeichnung, den Titel „Gruselhauptstadt Ostfrieslands“ zu tragen? Oder warum prämiert der Harlinger nur die schaurigsten Kostüme an Halloween? Warum nicht auch den schönsten Kranz oder die würdigste Gedenkveranstaltung am Volkstrauertag?

Im Harlinger war letzten Montag zu lesen, dass in Großbritannien am „Rememberance Sunday“, der am gleichen Tag wie der deutsche Volkstrauertag begangen wird, landesweit um 11:00 Uhr zwei Schweigeminuten eingehalten werden. Würde eine ähnliche Form nicht auch unserem Land gut zu Gesicht stehen, von dem im 20. Jahrhundert so viel Leid und Unrecht ausgegangen sind?

Pastor Jörg Janköster
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